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Robert Kurz
Interview mit der portugiesischen Internet-Zeitschrift ›Zion Edições‹

How does the present financial crisis fit in the context of the development of the structural crisis of the capital?

Es ist theoretisch falsch, von einer selbständigen Finanzkrise zu sprechen, deren „Rückwirkung“ auf die sogenannte Realökonomie unbestimmt sei und möglicherweise glimpflich ausfallen werde. In Begriffen der Marxschen Theorie ausgedrückt, kann die Finanzkrise nur eine Erscheinungsform mangelnder realer Verwertungsbedingungen des Kapitals sein. Das Finanz- und Kreditsystem ist kein selbständiger Sektor, sondern integraler Bestandteil in der erweiterten Reproduktion des Gesamtkapitals. Dabei entsteht ein Widerspruch, der sich mit fortschreitender Entwicklung verschärft. Die Expansion des Kreditsystems ist an sich nichts Neues, sondern hat bereits einen säkularen Prozess durchlaufen. Darin reflektiert sich ein Mechanismus, der von Marx als „steigende organische Zusammensetzung des Kapitals“ beschrieben wird. Mit zunehmender Verwissenschaftlichung der Produktion wächst der Anteil des konstanten Kapitals (Maschinerie, technologische Aggregate der Steuerung, Kommunikation und Infrastruktur etc.) überproportional an im Verhältnis zum variablen Kapital (wertproduktive Arbeitskraft). Dementsprechend steigen die Vorauskosten, um überhaupt Arbeitskraft als einzige Quelle von Mehrwert rentabel anwenden zu können. Die steigenden Vorauskosten erzwingen einen immer weiter in die Zukunft verschobenen Vorgriff auf zukünftigen Mehrwert in Form des Kredits, um die aktuelle Mehrwertproduktion am Laufen zu halten.
Damit entsteht eine wachsende Spannung im inneren Zusammenhang von Kredit und realer Verwertung. In der Vergangenheit konnte dieser Widerspruch kompensiert werden durch einen gesellschaftlichen Nebeneffekt der Verwissenschaftlichung. Der Anstieg der Produktivität verbilligt die Lebensmittel und vermindert damit auch den Wert der Arbeitskraft, sodass die Kosten für deren Reproduktion sinken. Derselbe Mechanismus, der den Anteil des variablen Kapitals (Arbeitskraft) in der organischen Zusammensetzung des Kapitals relativ vermindert, führt also andererseits dazu, dass die Arbeitskraft weniger Wert für ihren eigenen Erhalt produzieren muss. Der Anteil des Mehrwerts am gesamten neu geschaffenen realen Wert steigt, was Marx als Produktion des „relativen Mehrwerts“ bezeichnet. Das gilt aber nur pro einzelner kapitalistisch produktiver Arbeitskraft. Voraussetzung für einen kompensatorischen Effekt hinsichtlich der gesellschaftlichen Verwertung ist es daher, dass das reale Gesamtkapital gleichzeitig expandiert und damit die Zahl der kapitalistisch produktiv anwendbaren Arbeitskräfte absolut steigt – trotz des geringeren relativen Anteils des variablen Kapitals in der organischen Zusammensetzung eines bestimmten vorgeschossenen Geldkapitals. Nur unter dieser Bedingung kann auch die immer weiter in die Zukunft ausgreifende Vorwegnahme zukünftigen Mehrwerts mittels des expandierenden Kredits zumindest soweit wieder eingelöst werden, dass der Zusammenhang zwischen Kredit und realer Verwertung nicht völlig zerrissen wird. Solange dieser Zusammenhang einigermaßen funktioniert, drückt sich auch der Widerspruch nur relativ aus, nämlich als der berühmte tendenzielle Fall der gesellschaftlichen Profitrate. Die Rate des Durchschnittsprofits bezieht sich auf ein Geldkapital beliebiger Größenordnung. Diese Rate fällt im säkularen Prozess aufgrund des steigenden Anteils an Vorauskosten des konstanten Kapitals, das keinen Neuwert produziert, sondern nur bereits geschaffenen Wert überträgt. Wenn aber die gesellschaftliche Gesamtmasse des vorgeschossenen Geldkapitals in der wertproduktiven Anwendung ausreichend anwächst, kann trotz fallender Profitrate pro eingesetztem Geldkapital gleichzeitig die absolute reale Mehrwertmasse und damit Profitmasse des Gesamtkapitals weiter steigen. Marx hat diesen Zusammenhang im 1. Band (Produktion des relativen Mehrwerts) und im 3. Band (tendenzieller Fall der Profitrate) des „Kapital“ analysiert, wobei der historische Ausgang offen bleibt. Auf der elementaren Ebene der „Wertsubstanz“ als „Arbeitssubstanz“ spricht Marx dagegen in den „Grundrissen“ davon, dass das von der Konkurrenz erzwungene permanente Ansteigen der Produktivität schließlich zur absoluten Verminderung der wertproduktiven Arbeitskraft und damit zu einer absoluten historischen Schranke der Verwertung führen muss. Dieser Aspekt ist bei Marx allerdings theoretisch unausgeführt geblieben.
Die fordistische Phase war die Hochzeit des relativen Mehrwerts bei gleichzeitiger Expansion des realen Gesamtkapitals. Das permanente Vorauseilen des Kredits schien bewältigbar. Auch in der Linken galt die Theorie einer absoluten inneren Schranke der Verwertung als erledigt. Der Widerspruch zwischen Kreditsystem und realer Mehrwertproduktion durchläuft aber im Kontext der mikroelektronischen 3. industriellen Revolution einen Kulminationspunkt und erreicht eine neue Qualität. Die Expansion des realen Gesamtkapitals hat ihre historische Grenze erreicht, während gleichzeitig durch die neue Qualität der Verwissenschaftlichung die wertproduktive „Arbeitssubstanz“ in einem nie dagewesenen Ausmaß abgeschmolzen wird. Die Steigerung des relativen Mehrwerts pro einzelner Arbeitskraft verliert ihren Charakter eines historischen Kompensationsmechanismus. Damit verwandelt sich der bloß relative tendenzielle Fall der Profitrate pro eingesetztem Geldkapital in einen absoluten Fall der realen gesellschaftlichen Mehrwertmasse und damit der Profitmasse. Der Zusammenhang zwischen dem weit vorausgeeilten Vorgriff auf zukünftigen Mehrwert in Form des Kredits und der realen Mehrwertproduktion wird unwiderruflich zerrissen. Was als verheerende Finanzkrise erscheint, ist nur die empirische Manifestation des reif gewordenen Widerspruchs auf der empirisch nicht fassbaren Ebene der realen Wertverhältnisse.
Wir haben es also mit einem „Strukturbruch“ höherer Ordnung zu tun. Wenn bisher von einer „strukturellen Krise“ des Kapitals die Rede war, etwa im Kontext der „Theorie der langen Wellen“, so immer nur im Hinblick auf den „Übergang“ zu einem neuen „Modell der Akkumulation“. Die Krise sollte lediglich die Funktion einer „Bereinigung“ haben, um den Weg für den nächsten historischen Schub der Verwertung auf neuer technologischer Basis frei zu machen. Dafür wurde der berühmte Begriff des Ökonomen Joseph Schumpeter von der Potenz des Kapitals zur „schöpferischen Zerstörung“ in Anspruch genommen. Aber das Ende der fordistischen Ära brachte keinen „schöpferischen“ Strukturbruch im Sinne eines neuen „Akkumulationsmodells“ hervor. Der viel beschworene Übergang zum sogenannten „Postfordismus“ war eine bloße Leerformel. Was dafür ausgegeben wurde, war nichts als der Übergang zu einer historisch kurzen Ära der berüchtigten „Finanzblasen-Ökonomie“, in der das Kreditsystem weit über das Fassungsvermögen der schrumpfenden realen Mehrwertproduktion hinaus auf historisch beispiellose Weise aufgeblasen wurde.
Dabei entstand für eine positivistische Wahrnehmung, die den inneren Zusammenhang der Wertverhältnisse nicht erkennt, die optische Täuschung eines tatsächlichen neuen „Akkumulationsmodells“. Zum einen sollte der „Postfordismus“ darin bestehen, dass sich die industrielle Mehrwertproduktion in die Peripherie der sogenannten Schwellenländer verlagert (zuletzt in Gestalt der asiatischen angeblichen „Wachstumswunder“). In Wirklichkeit bestanden der Ausgangspunkt und die Triebkraft dieser Verlagerung nicht in Geldeinkommen aus realer Wertschöpfung, sondern im „fiktiven Kapital“ substanzloser Finanzblasen, die von der produktiven Anwendung menschlicher Arbeitskraft längst entkoppelt waren. Auf diese Weise wurde eine globale Defizitkonjunktur in Gang gebracht, die jetzt vor dem Absturz steht. Zum andern sollte der „Postfordismus“ in den kapitalistischen Zentren eine sogenannte „Dienstleistungsgesellschaft“ kreieren, die als eigenständiges neues Feld der Verwertung imaginiert wurde. In Wirklichkeit handelte es sich großenteils um kapitalistisch unproduktive Sektoren, etwa von privaten „Humandienstleistungen“, die ebenfalls ihren Ausgangspunkt und ihre Nahrung nicht in realer Wertschöpfung und daraus abgeleiteten Einkommen hatten, sondern in der Aufblähung des „fiktiven Kapitals“ und der bloßen Simulation von Verwertungsprozessen. Deshalb fand der vermeintliche Übergang zur „Dienstleistungsökonomie“ auch nicht als Expansion staatlicher Infrastrukturen etwa im Gesundheits- und Bildungswesen statt, die schon in den 70er Jahren gescheitert war, sondern in Form einer Prekarisierung der Dienstleistungsarbeit in privaten Klitschen des Billiglohns und in Formen der „Scheinselbständigkeit“, die jetzt ebenfalls abrasiert zu werden drohen.
Dazu ist noch eine Bemerkung hinsichtlich der theoretischen Entwicklung in der Linken nötig. Die postmoderne Ideologie der „Virtualisierung“ führte auch zu einer Anpassung der linken Gesellschaftskritik an den simulativen Krisenkapitalismus. Man begann umstandslos von einem nun eben „finanzgetriebenen“ Wachstum zu sprechen, in dem man sich „symbolisch“ einrichten wollte. Die Grundkategorien der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie wurden nicht nur wie im traditionellen Marxismus positivistisch missverstanden, sondern überhaupt ausgeblendet. Und das Problem der Krisenpotenz wurde nicht nur auf die „Funktion“ der „Bereinigung“ reduziert, sondern auch subjektivistisch umgedeutet und in bloße „politische Willensverhältnisse“ aufgelöst. Paradigmatisch dafür steht der Postoperaismus eines Antonio Negri. Soweit es überhaupt „Krisen“ gibt, werden sie nur als eine bewusste, „politisch gewollte“ Reaktion der Kapitalisten und ihrer Fraktionen auf die glorreichen „Kämpfe“ der sogenannten Multitude verstanden. Wenn aber die aktuelle Dynamik des globalen Einbruchs ein willentlicher politischer Akt des kapitalistischen „Empire“ sein soll, dann eher noch als „Reaktion“ auf den Geist meiner Großmutter als auf die längst nur noch symbolischen „Kämpfe“ eines demoralisierten variablen Kapitals ohne reale Eingriffsmacht in den kapitalistischen Zentren. Wie in der Marxschen Theorie unübertroffen dargestellt, ist aber die reale Schranke der Verwertung strikt objektiv und hat sich „hinter dem Rücken“ der Akteure aufgerichtet. Die soziale Emanzipation von der kapitalistischen Logik dagegen kann ganz und gar nicht „objektiv“ sein; aber eben deswegen erfordert sie die radikale Kritik der kapitalistischen Grundkategorien, die von der Menschheit „verinnerlicht“ und von der Linken weitgehend verdrängt worden sind. Wenn die Linke jetzt die negative Objektivität der Krise verarbeiten muss, wird sie dabei auch mit sich selbst und ihren postmodernistischen Illusionen konfrontiert.

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In your opinion, is this a good moment to generalize a radical critique of the capital system? Or considering that the basic material conditions of millions of human beings are increasingly degraded isn't it possible to go beyond the Keynesianism and the State-providence nostalgia?

Oberflächlich betrachtet macht sich eine allgemeine Delegitimierung des Kapitalismus bis in die politische Klasse und ins Feuilleton hinein geltend. Der Begriff des Kapitalismus schlechthin wird über Nacht pejorativ besetzt, als hätte man ihn nicht die ganze Zeit als „Sieger der Geschichte“ ausgerufen. Aber diese „Wende“ muss in ihrer unvermittelten Plötzlichkeit als unglaubwürdig und verdächtig erscheinen. Der Neoliberalismus ist in den letzten Jahrzehnten als „marktradikale“ Grundtendenz, als abstrakte Individualisierung und Entsolidarisierung von autistischen „Gesellschaftsatomen“ tief ins Massenbewusstsein eingesunken. Der unmittelbare individuelle Bezug auf den universellen Markt und die universelle Konkurrenz sind zur Existenzbedingung geworden und nicht mehr sozial gefiltert. Diese Formen des Daseins in einer desintegrierten Gesellschaft werden jetzt mit voller Wucht von der neuen Qualität des globalen Krisenschubs getroffen und in ihren Grundfesten erschüttert
Es handelt sich zunächst um eine Erschütterung der legitimatorischen Funktion. Der „herrschende Geist“ der neoliberalen Wende ist auf blamable Weise völlig unglaubwürdig geworden. Bis jetzt wird aber der verheerende Einbruch auf geradezu gespenstische Weise nur als Spektakel auf den globalen Finanzmärkten und in den Medien wahrgenommen. Eine Katastrophenmeldung jagt die nächste, während die Krise in der „realen“ Reproduktion und im Alltag noch nicht angekommen ist. Erste Vorboten sind die dramatischen Absatzverluste in der Autoindustrie und ihren Zulieferbetrieben. Die Dynamik der Krise wird aber sukzessive nicht nur alle Sektoren der Warenproduktion (Industrie, Medien und Dienstleistungen), sondern überhaupt alle Lebensbereiche erfassen, die über Jahrzehnte hinweg von der Aufblähung des Kredits abhängig geworden sind, weil sie nicht mehr aus realer Mehrwertproduktion und deren gesellschaftlicher Umverteilung gespeist werden konnten; vom Bildungs-, Kultur- und Gesundheitswesen über die kommunalen Infrastrukturen bis zur Altersvorsorge usw. Die Programme für kostenträchtige Maßnahmen zum Klimaschutz oder zur Krankenversicherung, die weiter diskutiert werden, als wäre nichts gewesen, sind eigentlich nur noch Makulatur.
Diese Dynamik einer „Desintegration der Desintegration“ kann von den atomisierten gesellschaftlichen Individuen gar nicht adäquat verarbeitet werden; jedenfalls nicht in dem Tempo, mit dem sie sich Bahn bricht. Die individualisierten Menschen sind in jeder Hinsicht „Kreditwesen“, egal in welchem Ausmaß ihnen das bewusst ist. Das gilt natürlich auch für die „Alltagsreligion“ (Marx) des Warenkonsums; das Kreditkartensystem wird wahrscheinlich als nächster Finanzsektor zusammenbrechen. Der ganze seichte Diskurs über „spekulative Exzesse“, die endlich unterbunden werden müssten, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Abhängigkeit vom „Weltkartenhaus“ des verselbständigten Finanzüberbaus als Existenzbedingung auch im Massenbewusstsein verankert ist. Deshalb läuft die oberflächliche Delegitimierung des „Kapitalismus“ auch nicht auf eine radikale Kritik der herrschenden Produktions- und Lebensweise hinaus. Als „kapitalistisch“ werden nur die Formen des privaten Finanzkapitals, des Investment-Bankings, der Hedge-Fonds usw. empfunden. In demselben Maße, wie diese soeben noch angebetete Finanzblasen-Ökonomie zusammenbricht, rufen die individualisierten „Kreditmenschen“ den Staat an, um ihre „Kredithaut“ zu retten und in ihrem prekär gewordenen kapitalistischen Dasein weiterleben zu können. An die Stelle des erschöpften privaten Kreditsystems soll der Staatskredit treten, den man sich als unerschöpflich vorstellen möchte.
Natürlich ist das eine halsbrecherische Volte. Denn diese Hoffnung auf eine unbegrenzte Finanzierungsfähigkeit des Staates war ja genau das, was der herrschende neoliberale Diskurs in den vergangenen Jahrzehnten als die größte Verirrung angeprangert hatte. Dafür gab es nicht nur ideologische Gründe. Als sich in den 70er Jahren das fordistische Wachstum erschöpft hatte und der Zusammenhang zwischen dem vorausgeeilten Kreditsystem und der realen Mehrwertproduktion zu zerreißen begann, war es damals zunächst der Staatskredit, der über das Fassungsvermögen der gesellschaftlichen Wertschöpfung hinausgetrieben wurde, um die Konjunktur durch Vorgriff auf die Zukunft am Laufen zu halten. Die nicht mehr einlösbare keynesianische Staatsverschuldung bildete bereits eine Finanzblase eigener Art. Als Folge geriet die Inflation weltweit mehr und mehr außer Kontrolle. Der Neoliberalismus reagierte auf diese Entwicklung, begriff aber deren tiefere Ursache überhaupt nicht. Er bildete sich ein, das Problem bestehe bloß in einer zu starken Expansion der Staatstätigkeit und könne durch marktradikale Deregulierung behoben werden. Da aber in Wirklichkeit die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals in einen historischen Fall der realen Mehrwert- bzw. Profitmasse umzuschlagen begann, wurde durch die neoliberale Wende die nicht mehr einlösbare Aufblähung des Kredits nur vom Staat auf die Finanzblasen der privatkapitalistischen Verschuldung und Spekulation verlagert. Indem diese Verlagerung nicht mehr auf eng begrenzter staatlicher Ebene stattfand, sondern im Kontext der transnationalen Globalisierung, konnte mit dieser neuen Art des nicht von realer Wertschöpfung gedeckten Kredits über 30 Jahre hinweg eine Wachstum simuliert werden, dessen defizitärer Charakter sich erst jetzt enthüllt. Wenn die Eliten ebenso wie das Massenbewusstsein plötzlich wieder auf die Staatsfinanzen als Rettungsanker zurückgreifen wollen, scheinen sie an Amnesie zu leiden. Der soeben noch verteufelte Staat wird wider besseren Wissens abermals zum Gott erhoben, der den Zufluss von Kredit verewigen soll, weil er jenseits der Einzelinteressen „allmächtig“ sei.
Nun ist der Staat zwar tatsächlich nicht die separate Agentur einer „herrschenden Klasse“ oder bestimmter ökonomischer Fraktionen, sondern die allgemeine, sozial übergreifende Instanz der Macht, die den äußeren Rahmen der Kapitalverwertung und aller ihrer „Charaktermasken“ (Marx) bildet. Aber gerade deswegen steht der Staat nicht „über“ den objektiven Bewegungsgesetzen des Kapitals und kann sie nicht nach Belieben steuern oder modifizieren, sondern er ist ihnen nicht weniger unterworfen als das einzelne Kapital; nur eben auf einer höheren gesellschaftlichen Ebene. Alles, was der Staat tut, muss genauso finanziert werden wie alles, was das einzelne Kapital tut oder was die Individuen tun; und die Quelle dieser Finanzierung kann nur die reale Mehrwertproduktion sein. Der Staat schöpft die Geldeinkommen aus dieser ursprünglichen Quelle entweder direkt durch Steuern ab, oder er beschafft sich Geld auf den Finanzmärkten durch Anleihen. Im zweiten Fall ist er selber ein Akteur auf der Ebene des Finanzkapitals und an dessen Bedingungen gebunden. Was bedeutet das in der historischen Krise des Kredits und des davon abhängigen „finanzgetriebenen“ Wachstums, wie wir sie heute erleben? Schon die bis jetzt weltweit geschnürten staatlichen „Rettungspakete“ für das Finanzsystem und die in Aussicht gestellten, noch gar nicht konkretisierten staatlichen Konjunkturprogramme belaufen sich auf mehrere Billionen Euro. Woraus soll der Staat all das finanzieren, wenn die Krise gerade darin besteht, dass die Quelle der realen Wertschöpfung versiegt und der Kredit als Vorgriff auf zukünftigen Mehrwert sich erschöpft hat? Eine drastische Erhöhung der Steuern würde die ohnehin schrumpfende reale Mehrwertproduktion noch mehr abwürgen. Eine große Masse zusätzlicher staatlicher Anleihen auf den Finanzmärkten hätte denselben Effekt; denn der Staat würde dann mit den Unternehmen und Privathaushalten um den noch verfügbaren Kredit konkurrieren und damit das reale Zinsniveau nach oben treiben.
Wenn die vom Staat eingenommenen Steuern und das vom Staat auf den Finanzmärkten geliehene Geld ausgegeben werden, egal wofür, ist das vom Standpunkt der Verwertungslogik keine Produktion, sondern Konsum. Denn selbst in dem Fall, dass damit z.B. der Bau von Straßen oder Schulen finanziert wird, findet auf diese Weise keine neue Wertschöpfung statt, sondern reale Mehrwertproduktion der Vergangenheit (Steuern) oder der Zukunft (Kredit) wird angezapft. Das gilt natürlich erst recht, wenn der Staat mit diesem Geld in Form von „Rettungspaketen“ bloß die Löcher im Finanzsystem stopft, faule Kredite der Banken aufkauft etc. Nach dem definitiven Ende der Finanzblasen-Ökonomie und ihrer Scheinkonjunkturen beläuft sich die Anforderung an die Staatsfinanzen aber auf ein Vielfaches der früheren, die auch schon gescheitert war. Da weder eine Erhöhung der Steuern noch eine Expansion der Staatsanleihen im erforderlichen Umfang möglich ist, bleibt als ultima ratio nur noch übrig, dass die Notenpresse Geld aus dem Nichts schöpft und ohne Sicherheiten oder Gegenleistungen direkt an den Staat überweist. Die Kompetenz der Notenbanken zur Geldschöpfung ist aber eine rein formale, die den realen kapitalistischen Wertschöpfungsprozess nur „ausdrücken“, aber nicht ersetzen kann. Das direkte Anwerfen der Notenpresse wäre daher die größte Finanzblase überhaupt, die nur in der völligen Entwertung des Geldes und aller Guthaben, Ansprüche etc. enden kann (Hyperinflation, Staatsbankrott, Währungsreform).
Die Verlagerung des Kreditproblems vom Staat auf das Finanzkapital und die aktuelle abermalige Rückverlagerung auf den Staat bilden eine ausweglose Schleife. Sicherlich ist nun die weltgesellschaftliche Erschütterung des kapitalistischen Systems und seiner neoliberalen Legitimation ein Feld, auf dem sich radikale Kritik der basalen kapitalistischen Formen in anderer Weise als bisher geltend machen kann. Das heißt aber noch lange nicht, dass diese radikale Kritik damit schon anschlussfähig für ein Massenbewusstsein wird, das sich noch ganz in den Kategorien des modernen Fetischismus bewegt. Die Paradoxie, dass die materiellen Existenzbedingungen aller Lebensbereiche von der sich auflösenden Virtualität des Kredits abhängig sind, muss erst bewusst gemacht werden. In dieser Hinsicht sind die Hürden für eine Negation der kapitalistischen Totalität nicht niedriger, sondern eher höher geworden. Wenn die eigene Existenz bedroht ist, klammern sich die Menschen umso heftiger an die herrschenden Bedingungen. Das heißt heute, dass alle noch so illusionären Projekte einer staatlichen Rettung des Kreditsystems Konjunktur haben; auch um den Preis eines Ausmündens in mörderische Ideologien (Antisemitismus oder Proto-Antisemitismus). Radikale Kritik muss sich deshalb dem Mainstream des Zeitgeistes erst recht entgegenstellen, statt sich von ihm mitreißen zu lassen.

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How do you see the system's appropriation of classic concepts of the left-wing, such as „nationalization“ or „financial markets regulation“?

Das Programm des radikalen Flügels im traditionellen Marxismus kam in martialischer Diktion als „Diktatur des Proletariats“ daher. Immerhin stand dabei noch die soziale Organisierung im Mittelpunkt, die aber mit einer falschen Ontologie der abstrakten Arbeit verbunden war. Tatsächlich verwandelte sich das Programm auf dieser ideologischen Basis in eine bloße Verstaatlichung der kapitalistischen Kategorien, also in das Gegenteil von sozialer Emanzipation. Marx selber hat schon in der „Kritik des Gothaer Programms“ gegen diesen Staatsfetischismus polemisiert, obwohl er selber in manchen früheren Formulierungen nicht ganz frei davon war. In der historischen Praxis der Systeme „nachholender Modernisierung“ (Sowjetunion, China etc.) hatte der Begriff des „Arbeiterstaats“ nur noch eine legitimatorische Funktion für die staatskapitalistische Reproduktion. Die meisten sozialistischen und kommunistischen Parteien im Westen transformierten diese Vorgabe herunter auf ein Programm der „Nationalisierung“ von Banken und Schlüsselindustrien im Kapitalismus. Die Staatsorientierung wurde nur noch lose mit dem ausgeleierten Paradigma der „Arbeiterklasse“ verbunden. Stattdessen rückte der Begriff der „Nation“ ins Zentrum und die „soziale Frage“ wurde in eine „nationale Frage“ verwandelt. Dieser „Sozialismus in nationalen Farben“ nahm geradezu einen reaktionären Charakter gegenüber der negativen „Weltvergesellschaftung“ des Kapitals an. Er gehörte schon zur Geschichte einer Auflösung des traditionellen Marxismus.
In der bürgerlichen Ökonomie machte sich als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre eine „milde“, abgeschwächte Staatsorientierung in Gestalt des Keynesianismus bemerkbar. Diese Doktrin hatte nie etwas mit noch so verwässerten „sozialistischen“ Hoffnungen zu tun; sie verstand sich im Gegenteil ausdrücklich als Programm zur Rettung des Kapitalismus vor sich selbst mit Hilfe staatlicher Interventionen, deren Grundlage in der weiteren Expansion des Staatskredits bestand. Der „Linkskeynesianismus“ versuchte diese Doktrin in einem quasi-“sozialistischen“ Sinne zu wenden. Dabei wurde aber nur die alte staatskapitalistische Orientierung der längst in die politische Klasse des Kapitalismus eingemeindeten ehemaligen „Arbeiterparteien“ noch einmal verwässsert und aufgeweicht. Der Bezug auf die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie ging endgültig verloren. Der linkskeynesianische Diskurs bezog sich nicht mehr grundsätzlich auf die kategoriale Analyse der „Verwertung des Werts“ und der Dynamik des kapitalistischen Formzusammenhangs von relativem Mehrwert, steigender organischer Zusammensetzung, Fall der Profitrate und einer Krisentheorie auf dieser Grundlage. Die Möglichkeit einer „kategorialen Krise“ als Fall der Mehrwertmasse war für dieses Denken völlig ausgeschlossen. Damit wurde auch eine „kategoriale Kritik“ an den basalen Formen des kapitalistischen Fetisch-Systems noch weniger denkbar als im traditionellen Marxismus der alten Arbeiterbewegung. Stattdessen sank die „Kritik“ herab zu einer „Widerspruchsbearbeitung“ im Rahmen des explizit nicht mehr in Frage gestellten Kapitalismus, also zu einer Form ordinärer bürgerlicher „Wirtschaftspolitik“, die blind auf die Expansion des Staatskredits setzen musste, um daraus vermeintlich sozialen Honig zu saugen. Als die herrschende ökonomische Wissenschaft und Wirtschaftspolitik im Zuge der „neoliberalen Revolution“ die keynesianische Doktrin offiziell abservierte, hatte die theoretisch abgerüstete politische Linke den Keynesianismus für sich allein, ohne zu reflektieren, dass sie mit einer historischen Leiche verheiratet war. Rein formal erschien der Keynesianismus nun als grundsätzliche Opposition zum Neoliberalismus, obwohl er das inhaltlich nie war.
Die neuerliche desperate Wende der politisch-ökonomischen Eliten zum Staatskredit hat die Linksparteien, aber auch Bewegungsorganisationen wie Attac auf dem falschen Fuß erwischt. Scheinbar kommen zentrale Elemente des von ihnen durchgehend vertretenen Keynesianismus (Verstaatlichung oder „Nationalisierung“ von Banken und möglicherweise Schlüsselindustrien, Regulierung der Finanzmärkte) plötzlich zu neuen Ehren. Aber dabei handelt es sich nicht mehr um einen sozialstaatlichen Keynesianismus wie in der Endzeit der fordistischen Prosperität in den 70er Jahren, sondern um einen finanzkapitalistischen Notstands-Keynesianismus, der mit einer Verschärfung der antisozialen staatlichen Arbeits- und Menschenverwaltung einhergeht. Es ist die paradoxe Verlängerung des Neoliberalismus mit quasi-keynesianischen Mitteln, weil es an der historisch manifest werdenden inneren Schranke der Verwertung keine neue, dritte Option mehr gibt. Der Staatskredit fließt nicht in soziale Programme, in Bildung und Gesundheitswesen etc., sondern er wird in das schwarze Loch der maroden Bilanzen geschüttet. Die keynesianische Linke steht der neuen Qualität der Krise hilflos gegenüber, weil sie keinen Begriff davon hat. Während sie glaubt, keynesianische Morgenluft zu wittern, wird ihr in Wirklichkeit die Rechnung präsentiert für ihre Selbstauslieferung an die kapitalistische Produktions- und Lebensweise. Wenn sie bei der neuen, inflationsträchtigen Expansion des Staatskredits „mitmischen“ will, droht sie sich selbst zum integralen Bestandteil der kapitalistischen Krisenverwaltung zu machen. Anzeichen dafür gibt es bereits in ganz Europa. Sollte die Partei- und Bewegungslinke in diesem Sinne „politikfähig“ und für die Eliten des Kapitals „salonfähig“ werden, so könnte ihre „Sozialdemokratisierung“ in eine Karriere auf der Grundlage des Ausnahmezustands münden.

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What forms of mediation between the immanent struggles for basic conditions of survival and the critique oft the basic categories of the capital system (commodity, value, money, abstract labor, State, politics) can be established?

Zweifellos ist der außerparlamentarisch organisierte soziale Kampf für die materiellen und kulturellen Lebensbedürfnisse als Widerstand gegen die brutale Absenkung des zivilisatorischen Niveaus die einzige Alternative zur „linkspolitischen“ parlamentarischen Mitarbeit bei der staatlichen Krisenverwaltung. Unvermeidlich wird auch eine neu konstituierte soziale Gegenbewegung zunächst als immanente „Widerspruchsbearbeitung“ auf den Plan treten, die aber die Bedürfnisse nicht an den Staat delegiert, sondern autonome Forderungen stellt, auch wenn diese dem Staat gegenüber erhoben werden. Dabei geht es z.B. um ausreichend hohe gesetzliche Mindestlöhne, um Widerstand gegen immer neue Kürzungen der Sozialtransfers und gegen die repressiven Schikanen oder Zwangsmaßnahmen der Arbeitsverwaltung, gegen die Privatisierung oder Stilllegung von lebenswichtigen öffentlichen Infrastrukturen (etwa hinsichtlich der medizinischen Versorgung). Aber auch die Auseinandersetzung um die Bildungsetats und die Kritik der rigiden inhaltlichen Anbindung von Lehre und Forschung an die obsolet gewordenen Verwertungsbedürfnisse des Kapitals stehen auf der Tagesordnung.
Dabei besteht ein wichtiges Moment in der Vermittlung „kategorialer Kritik“ darin, zu lernen, wie zwischen vorwärtstreibenden und affirmativen Formen der „Widerspruchsbearbeitung“ unterschieden werden kann. Dazu gehört vor allem die Einsicht, dass eine Verteidigung der Lebensbedürfnisse auf dem politischen Dienstweg völlig illusorisch geworden ist. Inhaltlich muss die Alternative von direkten sozialen Forderungen einerseits und der vergeblichen Hoffnung auf staatliche Konjunkturprogramme für neue Kapitalinvestitionen andererseits herausgearbeitet werden. Letztere binden das soziale Bedürfnis von vornherein an eine „gelingende“ Kapitalverwertung auf der verfallenden Basis abstrakter Arbeit und an eine daraus abgeleitete „Finanzierbarkeit“ nach kapitalistischen Kriterien. Erstere dagegen können einen Weg zur Negation des „Finanzierbarkeitsterrors“ öffnen und an eine Überwindung der Wert- und Geldform heranführen. Diese Alternative kann sich, wenn sie geltend gemacht wird, auch innerhalb des „linken“ Teils der politischen Klasse unter den neuen Krisenbedingungen stellen und dort zu Polarisierungen führen; vorausgesetzt allerdings, dass sich überhaupt eine soziale Gegenbewegung konstituiert. Elemente dieser Alternative gab es schon in der alten Arbeiterbewegung; allerdings vor dem ideologischen Hintergrund einer Ontologie der abstrakten Arbeit. Eben deshalb wurden soziale Gegenbewegungen (auch ihrem eigenen arbeitsontologischen Bewusstsein entsprechend) immer wieder in eine etatistische Orientierung transformiert und qua „Parteimarxismus“ auf eine staatskapitalistische Interventionspolitik vergattert; denn der Staat ist nun einmal die zusammenfassende gesellschaftliche Instanz auf Basis der abstrakten Arbeit. An den historischen Grenzen von abstrakter Arbeit und realer Kapitalverwertung stellt sich heute die Alternative von sozialer Gegenbewegung und Etatismus in völlig neuer Weise und muss konsequenter formuliert werden, wenn die Hoffnung auf den Staatskredit sich nur noch als Entfesselung der Inflation blamieren kann und keine sozialen Potentiale mehr enthält.
Ein zweites Moment der Vermittlung ist die Kritik an allen Formen der sozialen Ausgrenzung, ob sie nun offen oder indirekt und unterschwellig artikuliert werden. Solange soziale Bewegungen auf der Ebene der immanenten „Widerspruchsbearbeitung“ operieren, gibt es immer solche Tendenzen. Schon in der alten Arbeiterbewegung waren Affekte gegen die unqualifizierten Unterschichten wirksam. Heute sind ähnliche Haltungen einer allerdings abschmelzenden globalisierten „Arbeiteraristokratie“ gegen die „Herausgefallenen“ oder die Beschäftigten in den Billiglohn-Sektoren zu beobachten; aber auch in den Unterschichten der jeweiligen „Dominanzkultur“ selbst z.B. gegenüber Migranten. Vor allem aber sind es die vom Absturz bedrohten akademischen und subakademischen Mittelschichten in den kapitalistischen Zentren, die ihre eigene Haut retten und ihr spezifisches Interesse als „Humankapital“ zum allgemeinen Ideal der Emanzipation stilisieren wollen, während ihnen die Existenz der „Anderen“ in Wirklichkeit egal ist. In dem Maße, wie sich eine soziale Gegenbewegung konstituiert, ist es gerade die Aufgabe der „kategorialen Kritik“, die verschiedenen Potentiale der sozialen Ausgrenzung, die sich komplex überlagern, analytisch kenntlich zu machen und ihnen entgegenzutreten.
Das kann nur gelingen, wenn die Kritik auch vermittelt, dass es jenseits der kapitalistischen Kategorien leicht möglich ist, die Lebensbedürfnisse „für alle“ zu befriedigen. In dieser Hinsicht besteht die Aufgabe darin, in den sozialen Gegenbewegungen (sofern sie entstehen) die ungeheure Diskrepanz zwischen den Potenzen stofflichen Reichtums und der Unmöglichkeit, diese weiterhin in die kapitalistische Form zu bannen, bewusst zu machen. Auch wenn die theoretische Reflexion der kapitalistischen Realkategorien von Wertform und Ware, Mehrwert, abstrakter Arbeit etc. und deren staatlich-politischer Modulation nicht im Massenbewusstsein präsent ist, so kann doch die praktische Erfahrung mobilisiert werden, dass die Kapazitäten für die Befriedigung der materiellen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse praktisch-technisch und stofflich existieren, aber vom Kapitalismus lahm gelegt werden, weil der absurde Selbstzweck der Verwandlung von „Arbeit“ in „mehr Arbeit“, von „Geld“ in „mehr Geld“ nicht mehr erfüllt werden kann. Wenn immer mehr Menschen obdachlos werden, während gleichzeitig Wohnraum massenhaft leer steht, oder wenn immer mehr Kranke und Pflegebedürftige nicht mehr ausreichend versorgt werden, während die Verwaltung gleichzeitig Krankenhäuser schließt, Ärzte und Pflegepersonal unter Druck setzt oder „arbeitslos“ macht – dann kann diese Erfahrung grundsätzlich umgesetzt werden in die radikale Kritik der Waren- und Geldform, um sie mit der theoretischen Reflexion dieser Kritik anzureichern.
Eine solche Vorgehensweise ist auch dann richtig, wenn das sogenannte „ökologische“ Problem (Klimazerstörung, Raubbau, Erosion der natürlichen Lebensgrundlagen etc.) geltend gemacht wird. Die Vermittlung der „kategorialen Kritik“ hat in dieser Hinsicht die innere Verschränkung von destruktiven Potenzen in der kapitalistischen Produktion des stofflichen Reichtums einerseits und der kapitalistischen Form der sozialen Beziehungen andererseits bewusst zu machen. Es ist nicht die Produktion einer ausreichenden Menge von Lebensmitteln und Kulturgütern schlechthin, die zur Zerstörung der „Biosphäre“ führt, sondern die betriebswirtschaftliche Rationalität der Verwertungslogik, die gleichzeitig arm macht, ihre eigenen Grundlagen zerstört und die Natur ruiniert. Die destruktive Potenz bestimmter spezifisch kapitalistischer Formen des stofflichen Reichtums (automobiler Individualverkehr, Rüstungsindustrie, Agroindustrie als Giftschleuder usw.) kann nicht gegen die Vergesellschaftung der sozialen Lebensbedürfnisse ausgespielt werden. Die Alternative zur „Automobilmachung“ ist nicht die Liquidierung der Mobilität schlechthin, sondern der Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln unter gesellschaftlicher Kontrolle im Widerstand gegen die Privatisierung. Es ist überhaupt perfide, den auf unwürdige Notrationen gesetzten und kapitalistisch verarmten Menschen vorzurechnen, sie würden „zu viel konsumieren“ und das Klima kaputt machen. Während die „Klimakatastrophe“ noch vor kurzem in Zeiten der Defizitkonjunktur hohe mediale Wellen schlug, werden nun in der Krise die offiziellen Ziele einer Reduktion der Schadstoffe wieder gekappt, weil die kapitalistische Form der Produktion um jeden Preis erhalten bleiben soll. Es ist aber durchaus möglich, dass die Krisenverwaltung weitere soziale Restriktionen mit einer „ökologischen“ Legitimation zu flankieren sucht. In diesem Widerspruch bewegt sich auch eine von Teilen der Mittelschichten getragene „ökologische“ Ideologie, die von „Grenzen des Kapitalismus“ nur im Sinne einer „äußeren Schranke“ der natürlichen Ressourcen sprechen will, während die „innere Schranke“ von abstrakter Arbeit und „Verwertung des Werts“ nur verkürzt wahrgenommen („Grenzen des Wachstums“) oder ganz verdrängt wird, weil man selber „ökologisch“ bei der Krisenverwaltung mitmischen möchte. Vom Standpunkt einer weiterentwickelten Kritik der politischen Ökonomie ist dieser „ökologische Reduktionismus“ ebenso zu kritisieren wie die ökonomisch affirmative Orientierung auf einen „Krisen-Keynesianismus“.
Ein weiterer Schritt in der Vermittlung „kategorialer Kritik“ wäre die Neueröffnung einer Debatte über gesellschaftliche Planung, die nicht mehr auf abstrakter Arbeit, Warenform und Staat beruht. Als Erbe der vergangenen Epoche wird gegenwärtig „Sozialismus“ mehr denn je mit „Verstaatlichung“ gleichgesetzt, was nur noch zu paradoxen Wortverbindungen wie „Finanzmarkt-Sozialismus“ führt, in denen sich allerdings die Realparadoxie der neuen Krisenverhältnisse ausdrückt. Für eine wirkliche Transformation über den Kapitalismus hinaus besteht aber die Aufgabe darin, den weltgesellschaftlichen Fluss der stofflichen und sozialen Ressourcen als solchen neu zu organisieren und nicht mehr in den Kategorien des „Werts“ und seiner „Arbeitssubstanz“ darzustellen, die historisch obsolet geworden sind. Darin eingeschlossen ist das Problem von Momenten der sozialen Reproduktion, die noch nie in abstrakter Arbeit und Verwertung aufgingen und historisch an die Frauen delegiert wurden (Kinderbetreuung, Pflege, Haushaltstätigkeit, „Liebesarbeit“ etc.). An den Grenzen der Kapitalverwertung bröckelt auch dieser „soziale Kitt“. Eine gesellschaftliche Transformation muss diese Momente ebenfalls neu organisieren, von der geschlechtlichen Zuschreibung befreien und einen sozialen Zeitfonds dafür schaffen, der längst möglich ist.
Darüber müsste eine breite gesellschaftliche Debatte einsetzen, in die zahlreiche Erfahrungen und Kompetenzen eingehen, die sich nicht auf einen engen theoretischen Fokus beschränken. Die theoretische Kritik kann nur versuchen, eine solche Debatte anhand der Krisenentwicklung anzuregen und das Problem der gesellschaftlichen Planung neu bewusst zu machen.
Gerade weil die „kategoriale Kritik“ des kapitalistischen Formzusammenhangs trotz dessen historischer Krise nicht bruchlos vermittelbar ist und an die Grenze der „objektiven Gedankenformen“ (Marx) im gesellschaftlichen Bewusstsein stößt, kann sie sich nicht auf eine im bürgerlichen Sinne „sachliche“ politisch-ökonomische Engführung der Argumentation begrenzen. Ein wesentliches Moment der Vermittlung ist gleichzeitig die radikale Ideologiekritik. Alle affirmative Verarbeitung der Krise im Bewusstsein ist Produktion von Ideologie, nicht nur in der etatistischen Orientierung oder im ökologischen Reduktionismus. Auch die modernen Basisideologien von Nationalismus, Antisemitismus, Rassismus, Antiziganismus (das Ressentiment gegen Sinti und Roma als „Parias“ der Moderne) und Sexismus werden in der Krise verstärkt abgerufen und neu konfiguriert. Im Hintergrund steht immer die aggressive Verteidigung der jeweils spezifischen kapitalistischen Existenz von sozialen Schichten im Konkurrenzkampf. Zentral ist in dieser Hinsicht heute die Ideologie der „neuen Mittelschichten“, die angesichts der Krisenprozesse um Deutungsmacht und Hegemonie kämpft. Die verschiedenen Elemente der Ideologieproduktion gehen dabei Amalgamierungen ein, auch indirekt und unterschwellig. Aufgabe „kategorialer Kritik“ ist es daher, die modulierten „Dispositive“ von Ideologiebildung zu analysieren und den Ideologiebegriff über den traditionellen Marxismus hinaus tiefer zu durchdringen, um das Programm einer gesellschaftlichen Transformation mit einem Programm ideologiekritischer Intervention zu verbinden. Von alledem ist die aktuelle Bewegungslinke mit ihrer theoretisch abgerüsteten Orientierung auf nur noch symbolische „Kämpfe“ weit entfernt. Deswegen ist auch eine unheilvolle Konversion von „linken“ und „rechten“ Positionen einer verkürzten Kapitalismuskritik überall zu beobachten.

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What role can have today the class struggle to spread the class consciousness, in Lukacsian sense?

Ein traditionelles Verständnis von „Klassenkämpfen“ ist in der neuen Situation einer absoluten inneren Schranke der Verwertung nicht mehr zu mobilisieren. Historisch war die gewerkschaftliche und politische Repräsentanz des „Proletariats“ nichts anderes als die Repräsentanz des selbst-affirmativen „variablen Kapitals“ und damit die Repräsentanz der abstrakten Arbeit. Dabei wurde ein bloß relativer Gegensatz zwischen dem vermeintlich transhistorischen, anthropologischen Prinzip der „Arbeit“ und der juristisch verstandenen Form des kapitalistischen Privateigentums konstruiert, während abstrakte Arbeit und das juristische Privateigentum an den Produktionsmitteln in Wirklichkeit nur unterschiedliche Formbestimmungen im gemeinsamen, übergreifenden Bezugssystem der „Verwertung des Werts“ darstellen. Marx hat diesen übergreifenden Zusammenhang als „automatisches Subjekt“ der modernen Fetisch-Gesellschaft bezeichnet, in den alle sozialen Lagen als „Funktionen“ der Verwertungslogik eingebannt sind. Es gibt kein ontologisches „Prinzip“, auf das sich die soziale Emanzipation berufen könnte, sondern der Kapitalismus ist nur durch die konkret-historische Kritik seiner basalen Formen zu überwinden. Der „Klassenkampf“ war im wesentlichen eine Bewegung des „Kampfs um Anerkennung“ auf dem Boden der kapitalistischen Kategorien. Deshalb übernahm die alte Arbeiterbewegung vom Protestantismus und der bürgerlichen Ideologie der Aufklärung nicht nur die Ontologie der abstrakten Arbeit, sondern auch die Ontologie des kapitalistischen Geschlechterverhältnisses, d.h. der historischen Zuschreibungen an „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“. Was über den „Kampf um Anerkennung“ (Streikrecht, Koalitionsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Wahlrecht etc.) hinausging, lief immer nur auf die Verstaatlichung der unüberwundenen kapitalistischen Kategorien hinaus. Darin erschöpfte sich das Sozialismus-Verständnis des „Klassenkampfs“.
In der neuen historischen Situation wird die längst erreichte „Anerkennung“ der Lohnabhängigen als ökonomische und staatsbürgerliche Subjekte der Fetisch-Gesellschaft zur Fessel und zur Falle. Die Menschen sind so auf Gedeih und Verderb an den Zwang zur Verwertung gebunden. Das ist nicht nur eine Frage des Bewusstseins. Auch objektiv erodiert die soziale Basis des alten „Klassenkampfs“. Unter den Bedingungen der 3. industriellen Revolution kann das Kapital keine „produktiven“ Armeen der abstrakten Arbeit mehr organisieren. Weil der Prozess der Individualisierung als Krisenphänomen die sozialen Filter zerstört, sind die gesellschaftlich atomisierten Subjekte unmittelbar auf das globale Wertverhältnis bezogen, das gleichzeitig in Form des nicht mehr einlösbaren Kredits virtualisiert und damit obsolet wird. Der Erscheinungsform nach ist so eine „Vielfalt“ von diffusen sozialen Lagen entstanden, die sich auf dem Boden der kapitalistischen Kategorien nicht mehr integrieren lassen. Kernbelegschaften und Randbelegschaften, Zeitarbeiter und Unterbeschäftigte, transferabhängige Arbeitslose als Objekte der Krisenverwaltung, Scheinselbständige und Elendsunternehmer etc. stellen keine homogene Masse eines „mehrwertschaffenden Proletariats“ dar. Die Bewegungsideologie seit den 90er Jahren hat diese „Vielfalt“ nur affirmativ aufgenommen und unter dem Deckel der „Multitude“ begriffslos versammelt, ohne sie zu überwinden. Für eine neue Organisierung des sozialen Kampfes geht es als Ziel nicht mehr um die „Anerkennung“ als mehrwertschaffendes Wesen, sondern nur noch um die Kritik und Transformation der Wertkategorie selbst und der damit verbundenen Geschlechterverhältnisse. Grundlage kann nicht eine vorgefundene kapitalistische Organisation der „Arbeit“ sein, die aufgelöst und demoralisiert wird, sondern allein die selbst-bewusste Organisierung der konkret-historischen Kritik an den herrschenden Kategorien aus der immanenten „Widerspruchsbearbeitung“ heraus. Das ist keine Frage der „objektiven“ Klassen-Konstitution als Repräsentanz des „variablen Kapitals“, sondern eine Frage des Bewusstseins. Aber keines „idealistischen“ Bewusstseins in Begriffen etwa einer moralphilosophischen „Ethik“, sondern eines Bewusstseins, das sich der historischen Schranke der Verwertung und dem Verfall des zivilisatorischen Niveaus stellt.
An dieser Stelle ist es erforderlich, noch einmal auf das Problem der vom Absturz bedrohten „neuen Mittelschichten“ einzugehen. Die Desorganisation der industriellen „Armeen der Arbeit“ und der Verfall der alten Arbeiterbewegung gingen einher mit dem Aufstieg dieser qualifizierten Mittelschichten in der Phase der fordistischen Prosperität. Die ökonomische Grundlage war nicht die unmittelbare reale Mehrwertproduktion, sondern die Expansion des Staatskredits. Das dazugehörige soziale Selbstbewusstsein bestand weniger in der Ontologie der „Arbeit“ als vielmehr im Status eben jenes „Humankapitals“ der „höheren Bildung“. Schon die neue Linke seit 1968 war im wesentlichen eine Mittelschichtsbewegung, auch wenn sie noch abstrakt-ideologisch aus dem marxistischen Fundus heraus die vergebliche Vermittlung mit dem auslaufenden „Klassenkampf“ des „Proletariats“ suchte. In der Ära der Finanzblasen-Ökonomie wurden nicht zuletzt die „neuen Mittelschichten“ von der Expansion des privaten Kredits abhängig gemacht und zunehmend prekarisiert. Gerade in diesem Prozess gewann die „Weltsicht“ des Mittelschichts-Bewusstseins auch in der Linken eine dominante Position. Die Revivals der alten „Klassenkampf“-Rhetorik und erst recht ihrer Derivate etwa in Gestalt der postoperaistischen „Multitude“ sind allesamt implizit (und teilweise auch explizit) aus der Perspektive des kategorial affirmativen Bewusstseins der Mittelschicht formuliert. Es ist heute nicht so sehr die längst erodierte Ontologie der „Arbeit“, die den Übergang vom Arbeiterbewegungsmarxismus zur „kategorialen Kritik“ blockiert, sondern die auf ihrem „Humankapital“ beharrende Mittelschichtsideologie, die sich in der „Vielfalt“ der Bewegungsansätze versteckt. Da in eine große soziale Gegenbewegung unvermeidlich auch die Mittelschichten involviert sind, ist das Durchbrechen dieser Ideologie von entscheidender Bedeutung.
Das Problem einer Organisierung des sozialen Kampfes, der die desperate „Vielfalt“ der sozialen Lagen jenseits des „Klassenkampf“-Paradigmas in veränderter Weise integrieren muss, geht theoretisch nicht von einem Nullpunkt aus. Der Übergang zur „kategorialen Kritik“ findet sich in Ansätzen bei bedeutenden Theoretikern an den Grenzen des traditionellen Marxismus, so bei Lukács (und in anderer Weise bei Adorno). Lukács hat die früheste Vorgabe geliefert in seinem schon 1923 erschienenen Buch „Geschichte und Klassenbewusstsein“, vor allem in dem zentralen großen Aufsatz zur „Verdinglichung“. Wie es angesichts der damaligen Situation nicht anders zu erwarten ist, verbindet er dabei eine implizite Ontologie der Arbeit und den daraus folgenden traditionellen „Klassenstandpunkt“ erstmals mit einer Thematisierung der sozial übergreifenden modernen Fetisch-Konstitution. Lukács hat sich seine bahnbrechenden Einsichten vom Parteimarxismus als angeblich „idealistisch“ ausreden lassen und ist später zu einer expliziten und eher langweiligen Ontologie der abstrakten Arbeit zurückgekehrt. Sein Werk von 1923 ist auch von den neuen Ansätzen einer „kategorialen Kritik“ seit den 80er Jahren vor allem unter dem Gesichtspunkt des „zugerechneten“ Klassenbewusstseins und des Proletariats als dem vermeintlichen „Subjekt-Objekt der Geschichte“ wahrgenommen worden. Aber sein früher theoretischer Versuch geht darin nicht auf. Eine erneute Lektüre unter heutigen Bedingungen fördert überraschende Erkenntnisse zutage. Was er unter dem Begriff der „Verdinglichung“ zusammenfasst, stellt bereits eine für lange Zeit unerreichte Kritik der basalen kapitalistischen Formen dar; manches liest sich wie eine vorweggenommene Kritik des postmodernen Denkens. Entscheidend ist das Postulat einer kritischen „Bewusstwerdung“ der Warenform als allgemeiner Daseinsform im Kapitalismus unter Einschluss der Ware Arbeitskraft. Damit kam Lukács wieder an die vom Arbeiterbewegungsmarxismus ausgeblendete Marxsche Bestimmung der kapitalistischen Kategorien als „reale Existenzbedingungen“ und gleichzeitig „objektive Gedankenformen“ heran.
Entkleidet man diesen theoretischen Ansatz seiner „Zurechnung“ zu einem „Standpunkt“ der „Arbeit“, so kann vieles davon für eine neue „kategoriale Kritik“ unter den Bedingungen der Individualisierung und des zerfallenden Wertverhältnisses aufgenommen werden. Wesentlich dabei ist erstens, das von Lukács noch nicht thematisierte moderne Geschlechterverhältnis auf der kategorialen Ebene einzubeziehen. Zweitens sind die kritischen Relativierungen des „proletarischen Klassenbewusstseins“, wie sie im Verdinglichungs-Aufsatz formuliert werden, heute vor allem auf das Bewusstsein der Mittelschichten zu beziehen (auch dazu finden sich in diesem Aufsatz bereits Ansätze). Es stellt sich also die Aufgabe einer Reformulierung der Einsichten von Lukács in der grundlegend veränderten historischen Situation, um jene kritische „Bewusstwerdung“ der Warenform für eine Re-Integration des sozialen Kampfes jenseits der kapitalistischen falschen Objektivität fruchtbar zu machen.

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How would you define a concept of revolution for the present days that could break with the fetishism and with an erveryday life totally subordinated to the capital's reproduction?

Der Begriff der „Revolution“ ist historisch besetzt durch das Paradigma der großen Französischen Revolution, der folgenden bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts und der Revolutionen „nachholender Modernisierung“ an der Peripherie des Weltmarkts im 20. Jahrhundert (Russland, China, „Dritte Welt“). In diesem Kontext war die „Revolution“ beschränkt auf die politische Form der „Machtübernahme“ und im 20. Jahrhundert auf die Verstaatlichung der kapitalistischen Kategorien. Insofern gehört dieser Begriff zur Durchsetzungsgeschichte von abstrakter Arbeit, Verwertungslogik und modernem Geschlechterverhältnis. Deshalb scheint seine Karriere beendet. Im Restmarxismus und in der Bewegungsideologie spielt die „Revolution“ als Akt des politischen Umsturzes keine Rolle mehr. Aber dabei wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Indem die Linke den Revolutionsbegriff unaufgearbeitet ad acta gelegt hat, ratifizierte sie nur ihre Selbstauslieferung an die kapitalistische Daseinsform auf der sozialen Basis der Mittelschichten.
Marx hat schon in den Frühschriften den politisch beschränkten Revolutionsbegriff kritisiert. Für ihn stellte die „soziale Revolution“ eine andere Qualität dar, die zusammen mit dem Wertverhältnis und der Warenform auch die politische Form der Staatlichkeit abschafft. Wie später bei Lukács figurierte diese Umwälzung allerdings auch bei ihm noch als „proletarische Revolution“. Gerade dieses Paradigma blieb aber auf der Stufe des politisch verkürzten Revolutionsbegriffs stehen. Jenseits der Ontologie der abstrakten Arbeit stellt sich an der inneren Schranke der Verwertung die Frage der „sozialen Revolution“ neu und anders, nämlich als Durchbrechen der herrschenden gesellschaftlichen Synthesis in den Formen des Werts und des kapitalistischen Geschlechterverhältnisses. „Gesellschaftliche Synthesis“ bedeutet nichts anderes als die spezifische Form der Vergesellschaftung im Sinne einer „negativen Totalität“, die auch nur durch eine gesamtgesellschaftliche Umwälzung überwunden werden kann.
Gerade deshalb bedarf es einer sozialen Bewegung im großen und heute im transnationalen Maßstab, um überhaupt an die gesellschaftliche Synthesis heranzukommen. Es genügen z.B. keineswegs Betriebsbesetzungen durch die Belegschaft, die sich dann bloß zum kollektiven Kapitalsubjekt macht und weiterhin der Synthesis durch Markt und Konkurrenz ausgeliefert bleibt. Daran sind bisher alle derartigen Versuche gescheitert (etwa während der großen Krise in Argentinien). Eine Transformation ist nicht auf der Ebene des Einzelkapitals oder überhaupt einer partikularen Reproduktion möglich, sondern die Frage der Synthesis und damit der gesellschaftlichen Planung jenseits der Warenform bildet immer schon den Ausgangspunkt (und nicht irgendeinen Endpunkt) des praktischen Bruchs mit dem Kapitalismus. Insofern ist der Begriff der „Revolution“ nicht einfach gegenstandslos, auch wenn er nichts mehr mit dem alten „politizistischen“ Verständnis zu tun hat. Kritische Theorie als „kategoriale Kritik“ muss auf diesem Gesichtspunkt der gesellschaftlichen Synthesis beharren, auch gegen das bloß „symbolische“ Bewegungsbewusstsein, das sich diesem entscheidenden Problem nicht stellen will.
Die postoperaistische Bewegungslinke redet heute gern davon, „die Welt zu verändern, ohne die Macht zu übernehmen“ (John Holloway). Dabei tritt an die Stelle der gesellschaftlichen Synthesis ein diffuser Begriff des „Alltags“, der schon seit der 68er-Bewegung Karriere gemacht hat. Was oft als kulturelle „Revolutionierung des Alltags“ bezeichnet wird, ist zwar immer in der einen oder anderen Weise die Begleitmusik sozialer Veränderungen; aber auf diesen Gesichtspunkt reduziert, kann es sich auch um eine kulturelle Anpassung an die kapitalistische Dynamik handeln. Entsprechende Konzepte der 68er und der postmodernen Linken sind längst in das kapitalistische Krisenmanagement eingegangen, z.B. in Gestalt der neoliberalen Propaganda von individueller „Selbstverantwortung“. Die Thematisierung des „Alltags“ kann reale Eingriffe auf der Ebene der gesellschaftlichen Synthesis nicht ersetzen; und ebensowenig kann sie die dafür notwendige Eingriffsmacht (etwa durch Streiks, Blockaden, Lahmlegen der kapitalistischen Nervenbahnen) überflüssig machen. Die „Machtfrage“ beschränkt sich keineswegs auf das „politizistische“ Paradigma der Staatsmacht, sondern sie stellt sich erst recht als Frage einer sozialen „Gegenmacht“ im Widerstand gegen die Krisenverwaltung. In Wahrheit ist der „Alltag“ nicht per se ein Hort der „Widerständigkeit“, deren Begriff auf diese Weise hohl wird. Widerstand beginnt im Gegenteil dort, wo die Individuen sich über ihren bis in die Poren kapitalistisch bestimmten „Alltag“ erheben und überhaupt organisationsfähig werden.
Die linke Alltagsmetaphysik bezieht sich in Fortsetzung der gescheiterten Alternativbewegung der 80er Jahre teilweise auch auf Versuche einer „anderen“ Produktions- und Lebensweise im kleinen Maßstab partikularer „Gemeinschaften“, die sich neo-utopisch oder pragmatistisch legitimieren. Diese Versuche, etwa in Gestalt einer sogenannten „lokalen Ökonomie“ oder der digitalen Open-Source-Bewegung, können ebensowenig wie Betriebsbesetzungen die Ebene der gesellschaftlichen Synthesis erreichen. Als Scheinalternative zu einer sozialen Widerstandsbewegung aus der kapitalistischen Immanenz heraus drohen sie in eine „Selbstverwaltung der Armut“ umzuschlagen. Soweit dabei sogar der Gedanke einer „Kritik der Warenform“ erscheint, wird er heruntergebrochen auf ein Format, in dem eine solche Kritik gar nicht möglich ist, ohne ihren entscheidenden Inhalt zu verlieren und sich in ausweglose Widersprüche zu verwickeln. Die vermeintlichen Alternativen bleiben nicht nur in bürgerlichen Vertragsbeziehungen stecken; sie beziehen sich auch lediglich auf winzige Segmente der Reproduktion, die als Ganzes nach wie vor kapitalistisch bestimmt ist. Deshalb schielen die partikularen „Praxisprojekte“ in der Regel auf eine externe Finanzierung durch den Staat, sei es in Form eines „Grundeinkommens“, sei es in Form eines kommunalen Sponsoring. Keynesianischer Etatismus und Alternativideologie bilden nur die Kehrseite derselben Medaille; der gemeinsame Nenner ist die direkte oder indirekte Orientierung auf den Staatskredit. Darin kommt wiederum die uneingestandene Dominanz des Mittelschichts-Bewusstseins zum Ausdruck, das stets den Pelz waschen will, ohne ihn nass zu machen. Die keynesianische und die alternativideologische Linke müssen daher gleichermaßen die neue Qualität der Krise verdrängen und verleugnen, weil ihre Illusionen das Ende des globalen Kreditsystems und der Finanzblasen-Ökonomie nicht überleben können. Mit der realen Schranke der herrschenden gesellschaftlichen Synthesis werden sie spätestens dann konfrontiert, wenn der tiefe Einbruch der Weltkonjunktur den „Alltag“ auch in den kapitalistischen Zentren erreicht.

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